Montag, 15. Februar 2010

Sacajawea – Die indianische Volksheldin

Von Ernst Probst

Die berühmteste weibliche Teilnehmerin an der legendären Lewis-und-Clark-Expedition von 1804 bis 1806, die den fernen Wilden Westen erschloss, war die Shoshonen-Indianerin Sacajawea (um 1787–1812). In der Literatur findet man auch andere Schreibweisen wie Sacagawea oder Sakakawea. Durch die Berichte über dieses abenteuerliche Unternehmen wurde sie zu einer wahren Volksheldin und beliebten indianischen Folklorefigur.
Sacajawea kam um 1787 am Lemhi River in Idaho als Tochter eines Shoshonen-Häuptlings zur Welt. In der Sprache der Shoshonen bedeutete ihr Name „Die Frau, die das Kanu zu Wasser schiebt“. Der Begriff „Sho-Sho-ni“ hieß bei den Nachbarstämmen soviel wie „Grashüttenbewohner“. Die von den Weißen geprägte Bezeichnung „Snake“ („Schlangen“) für die Shoshonen hat nichts mit Reptilien zu tun, sondern bezog sich auf die „Schlangenlinien“ ihrer Zeichensprache, mit der sie sich selbst meinten.
Im Alter von zwölf Jahren geriet Sacajawea bei einem Überfall auf die Shoshonen durch die Hidatsa, einen Stamm der Sioux-Sprachfamilie, in Gefangenschaft. Die Hidatsa nahmen das Mädchen mit in ihr Dorf am oberen Missouri (North Dakota). Der Name Sacajawea bedeutete in der Sprache der Hidatsa „Vogelfrau“ und besteht aus den Begriffen „sacaga“ (Vogel) und „wea“ (Frau). Der franko-kanadische Trapper Toussaint Charbonneau (vielleicht 1767–1843) kaufte Sacajawea zusammen mit einem anderen gefangenen Mädchen von den Hidatsa und nahm beide zur Frau.
1803 veräußerte der französische Kaiser Napoléon I. (1769–1821) für 15 Millionen US-Dollar Louisiana an die USA. Durch diese als „Louisiana Purchase“ bezeichnete Transaktion wuchs das damalige Gebiet der USA um etwa 140 Prozent. Nach dem Erwerb Louisianas veranlasste US-Präsident Thomas Jefferson (1743–1826) eine Entdeckungsreise, die nach ihren Führern, Hauptmann Meriwether Lewis (1774–1809) und Leutnant William Clark (1770–1838), als Lewis-and-Clark-Expedition in die Geschichte der USA einging.
Jefferson umriss die Aufgabe der Entdeckungsreise in einer geheimen Botschaft: „Das Ziel der Expedition ist es, den Missourifluss zu erforschen und festzustellen, ob er in seinem Hauptverlauf und in seinen Verbindungen mit den Wassern des Pazifischen Ozeans die direkteste und praktischste Kommunikation über diesen Kontinent erlaubt, zum Zwecke von Handel und Kommerz.“
Im Mai 1804 startete die Expedition in Saint Louis (Missouri) und fuhr den Missouri aufwärts. Im November jenes Jahres verpflichteten Lewis und Clark in Fort Mandan (North Dakota), wo sie den Winter verbrachten, den Trapper Toussaint Charbonneau als Scout (Kundschafter). Die Expeditionsführer waren damit einverstanden, dass die etwa 17-jährige schwangere Sacajawea sie begleiten sollte. Von der jungen Indianerin, die die Sprache der Shoshonen und Hidatsa beherrschte, erhofften sie sich wertvolle Dolmetscherdienste. Der Trapper Charbonneau sprach Französisch und Hidatsa und eines der mehr als 30 Expeditionsmitglieder beherrschte Französisch und Englisch.
Als Sacajawea stark unter Wehenschmerzen litt, verabreichte ihr Expeditionsleiter Lewis gemahlene Klapperschlangen. Am 11. Februar 1805 brachte Sacajawea in Fort Mandan ihren Sohn Jean Baptiste Charbonneau (1805–1866) zur Welt. Expeditionsleiter Clark gab dem Kleinen, der später auf der Weiterreise mitgenommen wurde, den Spitznamen „Pomp“ oder „Pompy“.
Beim Feilschen mit einer Gruppe von Shoshonen um 30 Pferde für den Treck über die Rocky Mountains traf die dolmetschende Sacajawea unverhofft ihren älteren Bruder Cameahwait wieder, der nach dem Tod ihres Vaters neuer Häuptling geworden war. Tief gerührt über das Wiedersehen wollte Sacajawea zunächst zu ihren Leuten zurückkehren, blieb dann aber doch bei den Forschungsreisenden.
Im Gegensatz zu ihrem Ehemann Charbonneau war Sacajawea sehr mutig. Mehr als einmal bewahrte sie die Expeditionsteilnehmer vor dem Tod. Durch ihre Anwesenheit und ihr diplomatisches Geschick hielt sie feindlich gesinnte Indianer von Angriffen ab. Einmal warf sie sich tollkühn in die tosenden Fluten des Missouri, um Ausrüstungsgegenstände aus dem Fluss zu bergen, nachdem ein Boot gekentert war.
Die Expedition fuhr den Clearwater River, Snake River und Columbia River hinunter und gelangte schließlich zum Pazifik, wo sie Fort Clatsop (Oregon) errichteten und überwinterten. Am Strand des Pazifiks schnitzte William Clark in eine Pinie die Inschrift: „December 3, 1805 – By Land from the U. States in 1804 & 1805“.
Auf der Rückreise trennten sich die Expeditionsteilnehmer: Lewis befuhr den Marias River und Clark den Yellowstone River. Sacajawea und Charbonneau verabschiedeten sich in einem Hidatsa-Dorf am oberen Missouri von der Expedition. Lewis und Clark kehrten im September 1806 nach St. Louis zurück. Ihre gut dokumentierte Expedition öffnete neue Territorien für die USA. 1807 wurde Lewis Gouverneur von Louisiana.
Durch die Berichte über die Lewis-and-Clark-Expedition wurde – neben deren weißen Führern – auch die Indianerin Sacajawea berühmt. Die Expedition hatte 4000 Meilen großteils noch unerforschten Landes durchquert und war gefährlichen Grizzlybären und feindlich gesinnten Indianern begegnet. Dabei gewann man wertvolle Erkenntnisse über Geographie, Flora, Fauna und Bevölkerung.
Etwa ein halbes Jahr nach der Lewis-and-Clark-Expedition brachte die damals bereits an einer schweren Krankheit leidende Sacajawea ihre Tochter Lisette zur Welt. Kurz nach dieser Geburt soll sie am 22. Dezember 1812 in Fort Manuel, einem Handelsposten der „Missouri Fur Company“ (Montana), im Alter von nur 25 Jahren gestorben sein. Acht Monate später adoptierte William Clark die beiden Kinder und zog sie auf.
Nach einer anderen Version soll kurz vor Weihnachten 1812 eine der zwei indianischen Frauen des Trappers Charbonneau gestorben sein. Von der Toten wisse man nicht genau, ob es sich um Sacajawea gehandelt habe.
Sacajaweas Witwer, der Trapper Charbonneau, arbeitete zunächst für die amerikanische Pelzgesellschaft. Später begleitete er Prinz Maximilian zu Wied (1782–1867) auf der Expedition, die 1833 den schweizerischen Maler Karl Bodmer (1809–1893) zum oberen Missouri brachte. Charbonneau hatte insgesamt mindestens fünf Ehefrauen, die alle indianische Mädchen und bei der Heirat erst 16 Jahre alt oder noch jünger waren. Seine letzte Frau vom Stamm der Assiniboine war erst 14, als sie ihn 1837 heiratete. Der Bräutigam war zu dieser Zeit schon etwa 70.
Sacajaweas Sohn Jean Baptiste Charbonneau wurde ein berühmter Reiseführer. Er beherrschte nicht nur Indianersprachen, sondern auch Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch. Jean Baptiste erlag am 16. Mai 1866 während einer Reise von Kalifornien nach Montana einer Lungenentzündung. Er wurde bei Danner in Oregon begraben.
Dr. Grace Raymond Hebard, Bibliothekarin an der University of Wyoming, stellte 1907 die Theorie auf, Sacajawea sei erst im hohen Alter von fast 100 Jahren am 4. April 1884 in der Wind River Indian Reservation bei Fort Washakie (Wyoming) gestorben. Dr. Hebard veröffentlichte diese Theorie 1932 in ihrem Buch „Sacagawea: A Guide and Intepreter of the Lewis and Clark Expedition“. Laut „Indianer-Wiki“ ist diese weit verbreitete Theorie aber falsch.
Nach der Shoshonen-Indianerin Sacajawea wurden ein Berg, ein Fluss und ein Pass benannt. Keiner anderen Amerikanerin – gleich welcher Hautfarbe – hat man mehr Denkmäler errichtet als ihr. In dem Film „The Far Horizons“ (1955) wurde Sacajawea von der amerikanischen Schauspielerin Donna Reed (1921–1986) sympathisch dargestellt.

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Ernst Probst ist Autor des Taschenbuches „Superfauen aus dem Wilden Westen“ (GRIN Verlag für akademische Texte)
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